Lydia Langfeld

Kinder denken anders

Nur noch selten fahre ich zum Supermarkt am Stadtrand, um Großeinkäufe zu machen. Früher, als die Kinder zu Hause waren und die Familie aus sechs Personen und, nicht zu vergessen, einem eigensinnigen und verfressenen Rauhaardackelrüden bestand, war das regelmäßig jede Woche meine Aufgabe. Die knappe gemeinsame Zeit mit der Familie wollte ich nicht samstags in den langen Schlangen vor den Kassen verbringen, so wählte ich einen Wochentag. Auch wenn ich für die Einkaufstour die ruhigeren Vormittage aussuchte, so geschah doch alles in Hetze, angefangen mit dem Autoholen, das in der Stadt nicht bequem vor dem Haus abgestellt werden kann, sondern per Fahrstuhl aus der Hochgarage manövriert werden muss. Dann hieß es, an alles denken, was fehlte, den Einkaufszettel ja nicht zu Hause vergessen, in den langen Gängen des Supermarktes vieles suchen, was auf der Liste steht, auf Sonderangebote achten und die Preise vergleichen, um danach alles ins Auto zu laden und mich wieder in den Stadtverkehr zu stürzen. Die Wohnung im ersten Stock lag zentral. Vor dem Haus konnte ich aber nicht halten. Ich durfte mich nur kurz hinter ein Auto des Nachbarn stellen. In größter Eile trug ich die vielen Tüten und Wasserkästen in die Wohnung und brachte danach das Auto wieder in die Hochgarage, immer mit der Möglichkeit rechnend, dass ich mit dem Auto im Fahrstuhl stecken bleibe, was auch schon vorgekommen war und ich durch den Notrufknopf Hilfe bekam, was allerdings lange dauerte. Heute ist es fast eine angenehme Unterbrechung für mich, wenn ich zum Einkaufen fahre, und gelassen ertrage ich es, wenn vor mir Kunden ihre vollen Wagen auf das Kassenband umladen, die registrierten Sachen umständlich einpacken und erst danach anfangen, den Geldbeutel zu suchen, der oft ganz unten in einer der gefüllten Taschen liegt. Auch lasse ich schon einmal gern jemanden mit einer Colaflasche vor und ärgere mich nicht, wenn er oder sie vergisst, sich dafür zu bedanken. Ich habe ja genügend Zeit. Niemand wartet – nicht einmal ein Hund. Ich gestehe, dass ich an der Kasse auch gern den Inhalt der Einkaufswagen der vor mir Wartenden in Augenschein nehme, um zu sehen, was die Leute so alles zusammenkaufen. Auch damit vergeht die lästige Wartezeit.

So ließ ich neulich eine junge Mutter mit ihrem kleinen Kind vor. Sie hatte wohl für eine ganze Woche eingekauft, so schien es mir, als ich den vollen Einkaufswagen sah. Das konnte also dauern. Das Kind war unruhig und quengelte, wollte dies und das. Ach, ich erinnerte mich, was es heißt, die Ungeduld der Kleinen beim langweiligen Kassestehen zu bändigen und gleichzeitig die Gedanken beisammen zu halten, um nichts zu vergessen. Viel interessanter ist es für die Kinder, wenn sie von ihrer Mama durch die Gänge gefahren werden. Da gibt es so viele bunte Dinge zu sehen und auch anzufassen. Aber an der Kasse wird es ernst, da versteht die Mama keinen Spaß mehr und die anderen in der Schlange erst recht nicht. Zwei Frauen, die vor mir standen, hatten vielleicht ähnliche Erfahrungen mit Kindern gemacht und ließen die junge Frau ebenfalls vor. Trotzdem war sie noch nicht gleich an der Reihe und das Kind wurde immer unruhiger, die arme Mutter gleichzeitig immer nervöser. Der Kleine versuchte sich mit bewundernswerter Geschicklichkeit aus dem engen Kindersitz des Einkaufswagens zu befreien, lehnte sich halb heraus und griff plötzlich mit ausgestrecktem Arm nach der buntesten Packung im Korb mit Schnäppchen, die taktisch klug immer unmittelbar vor der Kasse aufgestellt sind. So ist es ja auch von den Verkaufsstrategen beabsichtigt. Wenn die Leute schon an der Kasse warten müssen, dann sollen sie sich wenigstens nicht langweilen, sondern sich ein wenig belohnen, indem sie Angebote mitnehmen, die sie zwar nicht brauchen, die aber dafür so unwiderstehlich günstig sind. Das Kind hatte Feuerzeuge erwischt, fünf Stück in einer Packung, gelb, grün, rot, blau und orange! Die Mutter atmete tief durch und entwand den kleinen Händen den ergatterten Schatz. Sie blieb ganz ruhig und sagte: „Max, das darfst du nicht!“ Doch das konnte Mäxchen überhaupt nicht verstehen. Mama hatte doch schon so viel in den Wagen geworfen, warum nicht auch das noch? Warum durfte er das nicht? Wenn Max ein Jahr älter gewesen wäre, hätte ihm Mama das Verbot vielleicht erklären können, aber zum Argumentieren war er noch zu klein und außerdem wäre wohl auch die Geduld der hinter ihr Wartenden überstrapaziert worden. In dieser Situation gab es für Mama nur das autoritäre Nein und für Mäxchen nur eine Möglichkeit, um zu zeigen, dass er mit Mama nicht einverstanden war: Er schrie! Die Mutter packte mit hochrotem Gesicht die Sachen ein, zischte zwischendurch den Kleinen an, zahlte zügig und verließ so schnell wie möglich den Ort der Hektik. Das Geschrei des Kleinen sorgte dafür, dass ihr alle nachblickten. Sie sah auch nicht mehr, wie einige den Kopf schüttelten. Man konnte ihre vorwurfsvollen Gedanken erraten: „So ein Trotzkopf! Dem sollte man mal zeigen, wer dass Sagen hat. Da muss auch mal durchgegriffen werden, man kann sich doch von so einem Dreikäsehoch nicht tyrannisieren lassen. Von Erziehung haben die jungen Mütter heute ohnehin keinen blauen Dunst!“ Aber sie sah auch nicht mehr, dass einige Frauen lächelten, ein wenig mitleidig und zugleich verständnisvoll.

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